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Wenn eine Begegnung ein Leben verändern kann. Die Geschichte von den 2 Cola Dosen.

Es war alles gar nicht so geplant. Wir liefen über die Straßen Kambodschas. Von allen Seiten rief man uns zu: Sir, Madam. Need a Tuktuk?

Wir waren genervt und vor allem verunsichert. Ja, wir brauchten sehr wohl ein Tuktuk. Aber bestimmt nicht von denen, die uns so aufdringlich anquatschen. Nur leider waren das irgendwie alle. Ohje. Dabei wollten wir doch am nächsten Morgen den Sonnenaufgang in Angkor Wat erleben. Und dafür brauchten wir definitiv ein Tuktuk. Also lassen wir doch einfach andere für uns entscheiden: Der junge Kambodschaner an unserer Hotelrezeption, bestellte uns für den nächsten morgen 5 Uhr einen Tuktuk-Fahrer.

Als Kem-Khorn stellte sich unserer Fahrer dann am nächsten Morgen vor. Ich war misstrauisch. Wird der uns abzocken? Fährt der uns zu komischen Geschäften, wo wir was kaufen sollen? Und wartet der überhaupt auf uns, wenn wir uns die Tempel angucken? Pfui, ihr bösen Gedanken. Behaftet von Vorurteilen und Pessimismus. Kem-Khorn – unser Tuktuk Fahrer – war ein Geschenk. Er war witzig, geduldig, super sympathisch und liebte es mit richtig Speed durch die Gegend zu brettern. Er wartete stundenlang auf uns. Fuhr uns zu den schönsten Tempeln. Und wurde für 3 Tage so etwas wie ein Freund.

Und so kam es, dass er uns einen Tag vor unserer Abreise fragte, wie wir den letzten Tag in Kambodscha verbringen wollen. Wir sagten ihm, das wir noch nichts geplant haben und so schlug er vor uns am nächsten Morgen abzuholen.

Pünktlich wie jeden Tag, stand er vor unserem Hotel. Wir stiegen ein und er fuhr los. Und fuhr und fuhr und fuhr. Die gewohnten Züge der Stadt verließen wir recht schnell und begaben uns auf einsame Landstraßen. Kurzzeitig war es uns nicht so geheuer. Wir im fremden Land, in einem Tuktuk, von dessen Fahrer wir doch nicht wirklich viel wussten. Doch das Herz, das fühlte das ist richtig. Und es war richtig!

Siem Reap Kambodscha Landschaft

Wir machten einen kurzen Stop an einem Kiosk, Kem-Khorn kaufte 2 Cola Dosen und überreichte sie uns. Die können wir nie und nimmer annehmen. Doch nicht von ihm – ihm den Tuktuk Fahrer der von einen Tag in den anderen lebt und so gut wie nichts besitzt. Aber Kem-Khorn bestand darauf: Ein Geschenk von einem Freund.

Nach ca. 20 Minuten erreichten wir so etwas wie ein kleines Dorf. Ein Dorf aus Holzbaracken und Wellblechhütten. Und dann waren wir da – Zuhause bei Kem-Khorn.

Siem Reap Kambodscha Umgebung

Er öffnete sein Haus – und irgendwie auch sein Herz für uns. Er drapierte eine Euro-Palette in die Mitte des Raumes, legte einen Teppich drauf und bot uns dann an es uns gemütlich zu machen. Dann erzählte er uns von seinem Leben. Fragte wie es bei uns so ist.

Wow, ein Herd und Ofen? Er mache draußen ab und an mal Feuer, hat einen Topf. Eine Waschmaschine? Seine 3,4 Kleidungsstücke wäscht er eben mit der Hand. Wasser aus der Leitung? Teilt er sich mit den Nachbarn. Sein Bett? Ein Betonklotz mit einer Matratze drauf.

Ich schaue mich in seiner kleinen Hütte um. Was ich sehe, ist nicht viel. Ein paar zusammengesuchte Dinge. Hier ein kleiner Korb, da ein paar Bügel, eine Decke, ein paar T-Shirts. Draußen ein paar Hühner in einem Wellblechstall.

Aber wir fühlen uns wohl. Dort in seinem kleinen Zuhause. Er erzählt uns, dass er gern Touristenführer wäre. Dann könnte er ganz gutes Geld verdienen. Aber die Ausbildung kostet und das Geld muss er mit dem Tuktuk verdienen. Fährt er aber Tuktuk, hat er keine Zeit für die Ausbildung. Fährt er kein Tuktuk, hat er zwar Zeit für die Ausbildung, aber kein Geld.

Zum ersten Mal erfahre ich an einem mir greifbaren Menschen, was dieser Teufelskreis, den wir irgendwann mal im Sozialkunde Unterricht behandelt haben, wirklich bedeutet. Es bedeutet: Kein Entrinnen. Keine Lösung. Es bedeutet von Tag zu Tag zu leben. Zu hoffen auch am nächsten Tag wieder Arbeit zu haben. Es bedeutet ein Leben ohne Sicherheit. Es bedeutet zu hoffen, niemals ernsthaft krank zu werden. Es bedeutet aber auch: Trotz allem das Lachen nicht zu verlieren. Es bedeutet herzlich zu sein. Es bedeutet, von dem wenigen was man hat, 2 Touristen, die man wahrscheinlich nie wieder sieht, 2 Cola Dosen zu kaufen. Es bedeutet, sich seine Menschlichkeit zu wahren.

Kambodscha

Als wir wieder zurück in die Stadt aufbrechen, gehen mir viele Gedanken durch den Kopf. Schon zwei Tage vorher, machte mich der Besuch in Vietnam und Kambodscha sehr traurig. Nicht weil mir die Länder nicht gefielen, nein – ganz im Gegenteil. Sondern weil sie mir so viel gegeben haben. So viel Lebensfreude, Ehrlichkeit, Güte und Menschlichkeit. Und nun sollte ich in ein paar Tagen wieder nach Deutschland zurückkehren. In ein so reiches Land, das teilweise voller Gram steckt. Konsumgeil, ewig jammernd, Ellenbogen ausfahrend, gehässig und gehetzt. Ja. Das waren die Attribute und Stichworte die mir damals durch den Kopf gingen. Ich will nicht zu hart zu Deutschland sein. Es gibt auch viele positive Attribute die ich mit meinem Heimatland verbinde. Aber das Reisen tut nun mal genau das was es soll: Es erweitert Horizonte, öffnet Augen und Herzen. Und ich wünsche mir mehr Menschlichkeit und den Blick aufs Wesentliche.

Wie aber ging die Geschichte mit Kem-Khorn zu Ende? Er brachte uns einige Stunden später zum Flughafen. Wie gesagt. Es gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Vordergründig solche, wie ich ihm helfen kann. Glaubt mir. Ich hätte in diesen Tagen mein letztes Hemd für ihn gegeben. Als wir am Flughafen ankamen, wollten wir ihm noch unsere Wasserflaschen schenken. Das fiel uns dann aber erst wieder im Flughafengebäude ein. Ich rannte also zurück nach draußen, doch Kem-Khorn war schon weg. Ich hätte heulen können. Mein Herz war schwer und traurig. Dann sah ich einen anderen Tuktuk Fahrer und schenkte einfach ihm die Flaschen. Voller Freude bedankte er sich bei mir. Mein Herz war wieder etwas leichter.

Dennoch. Was geblieben war von unseren Tagen mit Kem-Khorn, waren Dankbarkeit und Demut.

Und so kam ich als eine andere wieder, als die, die in Deutschland in den Flieger gestiegen ist. Danke an alle Kem-Khorns da draußen, dass ihr die Welt so warm, gütig und menschlich macht!

Siem Reap Tuktuk

Nachtrag vom 29.04.2016: Ich habe entdeckt, dass die liebe Ariane von Heldenwetter genau zu diesem wunderschönen Thema der Reisebegegnungen eine Blogparade ins Leben gerufen hat. Mit diesem Artikel nehme ich daher vom Herzen daran teil.